SAN FRANCISCO


17. September 1979


S a n F r a n c i s c o - schwebt da nicht schon allein im Namen ein Odem von Sehnsucht mit? Den Pfefferminzduft konnte ich zwar nicht riechen, denn jetzt war dafür ja auch nicht die Zeit. Doch, dass ich keine Blume im Haar trug, wie das Lied: ''And if you come to San Francisco...'' mir vorgab nicht zu vergessen, bereute ich irgendwie schon. Wo doch alles rund um mich herum, nichts als pure Romantik war - die ganze Luft - ein einziger Hauch von Romantik. Es war nicht nur das blaue Meer; die Glasbaldachin überdachten Blumenstände an allen Ecken; nicht nur die pastellfarbenen, märchenbuchhaften, englisch inspirierten Häuschen, welche die stotzig, steilen Strassen hier säumten, nein, es waren vor allem die Menschen; diese fabelhaft fröhlichen, spontan offenen Menschen; diese meist jungen Menschen, mit den vielfach noch immer lang tragenden Haaren, die auch zu jener Zeit noch den Geist der Hippies in sich trugen. Inmitten all dieses blütenrein milden Flairs, wurde mir mit einem mal klar, weshalb es ausgerechnet hier sein musse; ja, nur hier sein konnte, von wo aus jene damalige Bewegung, die mit Blumen und Liebe noch glaubte, gegen alle sinnlosen Kriege ankämpfen zu können, in alle Welt hinausging. Und nicht zuletzt trugen zu dieser, von nostalgischer Sehnsucht geprägten Atmosphäre, ganz sicherlich auch diese blechspielzeugähnlichen Cable-Cars bei, die man glaubt, noch mit dem Schlüssel aufziehen zu müssen oder dann: dass sie nur reine Touristen-Attraktion wären; die aber als einzige Berg-Tal Verbindung tatsächlich, rege benutzt, dem allgemein öffentlichen Strassenverkehr dienen; was man nur schon daran erkennt, dass die Passagiere bei Stossverkehr sogar wie Trauben am Trittbrett hangen, während die, die darin Platz gefunden haben, alle längs zur Fahrbahn sitzend, nach und nach, nach unten rutschend, einander immer näher rücken; in denen es, weil der Schaffner, um eine rasende Talfahrt zu vermeiden, gezwungen ist, auf ganzer Strecke, in telemannartiger Stellung, den in der Wagenmitte sich befindenden Metallbremsstock, nach hinten zu reissen, wodurch eine funkensprühende Reibung entsteht; es darum aber auch immer leicht bränzlig riecht. An den Endstationen hat übrigens, dieser Schaffner zusammen mit dem Fahrer, der den Wagen auf eine Drehscheibe fuhr, diesen mit angestemmtem Rücken, aus eigener Kraft zu wenden. Gar komisch fand ich es auch, dass all diese Trams rechtwinklig gebaut sind, und so in der steilen Landschaft den Eindruck erwecken, als wären sie alle einer ungelenken Kleinkinder-Zeichnung entnommen.

An diesem ganzen Gefühl, die ganze Luft wäre voll nur von Zuneigung und Zärtlichkeit, konnte auch der Umstand nicht rütteln, dass ich in einem der billigsten Rucksacktouristen-Hotels untergebracht war; wo der Lift defekt war; das Treppengeländer da wo noch vorhanden, wacklig und morsch; der im schmuddligen Treppenhaus die Stufen bedeckende, einst rote Teppich voller Brandlöcher, und völlig verfleckt; dass überall zerknülltes, Ketchup- und Senf-verschmiertes Pergamentpapier am Boden herumlag; auch nicht, dass zu hinterst im Gang, wo gleich neben der draussen gelegenen Feuerwehrtreppe, das eingeschlagen, zerbrochene Fenster war, mein Zimmer mit dem völlig vermurksten Türschloss lag, in welchem an den mindestens seit fünfzig Jahren keinen neuen Anstrich mehr gesehen habenden Wänden, direkt über dem Bett, eine mit einem Scotch-Tape befestigte, mit dem Kopf nach unten gerichtete, sicher schon seit zehn Jahren verblühte Rose hing, daneben überall angeheftet - dilletantisch gezeichnete Abbildungen von überdimensionierten Fantasie-Blumen und -Pilzen, rauchenden Vulkankratern und allerlei Flüsschen und Bächchen, allesamt angefertigt höchst wahrscheinlich im psychedelischen Dusel. Das Bett jedenfalls war frisch bezogen und das Zimmer soweit sauber. Auch hatte ich schon einige nette junge Leute kennengelernt, und ich wusste ja auch vom Song her, dass hier in San Francisco, I`ll meet gentle people, und dass alle sie seien loving me there. Ausserdem bekam man hier im Hotel, nebst einem reichhaltigen Frühstück, auch immer eine nahrhaft abwechslungsreiche Abendmahlzeit serviert.

Doch eben, dies war nur der erste Eindruck, bis dann zur ersten Nacht mich dann doch das nackte Grauen packte. Nicht dass mich etwa dieser durchdringende Heulton der dauernd hier vorbeirasenden Polizeiautos aus der Ruhe gebracht hätte, nein, an diesen hatte ich mich längst gewöhnt.

Ich war also eben daran einzuschlafen - von der langen Reise müde genug war ich ja - , als mich, beim Hochziehn meiner Decke, ein unvermuteter Gegenstand in meiner Hand, diese angewidert, instinktiv zurückzucken liess. Blitzartig war ich wieder hellwach. Nicht dass es sich etwa gruslig angefühlt hätte, wie beispielsweise ein nasser Frosch, oder sonst etwas Organisches, sondern lediglich wie ein ganz gewöhnlich festes Ding, das aber dort war, wo ein solches, wie mir schien, ganz und gar nicht hingehörte. Jedenfalls Grund genug, mich in höchste Alarmbereitschaft zu versetzen. Zaghaft tastete ich mich erneut heran, nur um aber festzustellen, dass das nichtidentifizierte Objekt noch immer da war. Es hatte die Grösse etwa einer Streichholzschachtel, nur von härterer Struktur. Es war nicht etwa auf, und auch nicht unter der Decke, sondern einfach eindeutig mitten in dieser drin. Wenn das nicht Sabotage war! Ich bekam ein immer mulmigeres Gefühl. Sicher war nur: Etwas ging da nicht mit rechten Dingen zu.

Beherzt: machte ich Licht. Vielleicht liess sich ja so besser erkennen, was mich derart in Panik versetzte. Doch auch bei Lichte betrachtet, tappte ich noch immer weiter im Dunkeln; denn was mein Auge sah, erhärtete nur weiterhin meine Vermutung: Die Decke lag in keinem Anzug, hatte nirgends Nähte, nirgends ein Loch; alles war kompakt, ganz an einem Stück und doch befand sich dieses feste Ding dazwischen. Mein Puls ging immer schneller. Schweiss bildete sich auf meiner Stirn. Mir kam die kaputte Scheibe in den Sinn; das beschädigte Türschloss; die Feuertreppe, die unmittelbar auch an meinem Fenster vorbeiführte. Zudem hatte ich gehört, sollen sich auf dem Dach Drogensüchtige aufhalten. Meine Fantasie fing an mit mir durchzubrennen - oh Gott - ja klar - das wars. Todsicher: Ein Schächtelchen voll Heroin oder sonst einer Droge, raffiniert versteckt in einer Decke. Und das - ausgerechnet in m e i n e r Decke! Hätte zu bedeuten, dass wohl der Konsument noch diese Nacht käme, sich seine Ration bei mir abzuholen. Und was, würde dann mit mir, als einziger Zeugin geschehn?

Einziger Gedanke jetzt - Flucht. Aber wohin? Wenn ich bloss wüsste, welches Zimmer die beiden italienischen Pärchen haben, mit denen ich kurz zuvor noch ausgegangen war. In meinem Schädel - nur noch chaotisches Durcheinandergewirbel. Doch zum Teufel - jetzt wollte ich es wissen. Trotzig stand ich jetzt auf, nahm aus meinem Nähtäschchen die kleine, zusammenlegbare Schere und schnitt damit kurzerhand in die - ja nu - tut mir ja leid - nigellnagelneue Bettdecke hinein, zielstrebig direkt auf den ominösen Gegenstand zu - - - und --- was kam da zum Vorschein? - Nichts, als ein elektrisches Impulsapparätchen, oder wie man sowas nennt, womit sich mein, an sich höchst komfortables Flachduvet, als hundskommune Heizdecke zu erkennen gab; bestimmt dieses Hotels luxuriösester Anschaffung aller Zeiten. Und ich, Liane, habe daran einen schändlichen Vandalenakt verübt, hatte Ich doch bis anhin nur das Heizkissen gekannt und - ich schwöre es -, noch nie etwas von einer Heizdecke gehört. Oh Gott - wie ich mich schämte!

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